Dr. Andreas Püttmann

"Eine teuflische Krankheit"

Dialog in der Hölle


Oberteufel: Was hast Du Dir als Dein Meisterstück ausgedacht, Unterteufel?


Unterteufel: Eine neue Krankheit, die die Menschen an Gott verzweifeln lässt.

O: Aber da haben wir doch schon einiges: Krebs, Aids, Syphilis, MS, ALS, Parkinson, Depressionen ....


U: Aber die sind alle schon erkannt, im Gesundheitswesen etabliert und werden von Heerscharen von Pharmazeuten und Medizinern erforscht und bekämpft – sogar mit einigem Erfolg. Die Syphilis zum Beispiel ist fast ausgerottet und antibiotisch gut heilbar. Aids gilt dank neuer Medikament fast schon als chronische Krankheit, mit der man leben kann. Wer betroffen ist, genießt Mitleid und die Solidarität gut organisierter Beratungs- und Selbsthilfeorganisationen, für die Prominente Spenden sammeln; in Medien und Schulen wird gewarnt und aufgeklärt, so dass man eine Ansteckung normalerweise vermeiden kann.

O: Und bei Deiner neuen Krankheit kann man das nicht?



U: Theoretisch vielleicht, aber praktisch fast nicht. Es reicht, sich draußen in der Natur aufzuhalten, die manche Menschen immer noch als „die schöne Schöpfung Gottes“ bewundern. Man muss selbst sonst gar nichts tun, um sich die Krankheit zuzuziehen. Man merkt nicht einmal den fatalen Moment, wenn irgendwelche Kleinstlebewesen – ich dachte da an Spinnentiere oder Insekten – die Erreger übertragen. Und selbst die gesündesten und stärksten Menschen kann es erwischen.

O: Wie schnell sterben sie denn dann?


U: Sterben? Wieso? Lass die Menschen doch weiter an Krebs, Aids und MS sterben – die Opfer meiner Krankheit sollen vor allem gequält werden, ohne Erlösung im Tod zu finden. Aber eins versichere ich Dir: Viele von Ihnen werden sich den Tod früher oder später wünschen, so werden sie leiden. Einige bringen sich wahrscheinlich sogar um.

O: Wirklich teuflisch! Das gefällt mir. Eine Krankheit die nicht tötet, aber das Leben nimmt. So dass es kaum noch schreckt, es sich schließlich auch physisch zu nehmen. Das wird den „Gott des Lebens“ unglaubwürdig machen! Allerdings wäre Todesangst auch keine schlechte Qual....


U: Man muss ja nicht ganz darauf verzichten. Wir lassen halt einzelne auch dran sterben, als abschreckendes, angstmachendes Beispiel. Aber bloß nicht zu viele, sonst setzen die Menschen wieder ihre ganze Forschungsmaschinerie in Gang und verwässern uns das Ganze früher oder später. Je später die Medizin den Ernst der Sache erkennt, desto besser – und übrigens auch der Kranke selbst. Das Leiden soll sich im Normalfall langsam einschleichen, bis es für effektive Therapien zu spät ist, wenn man es merkt.

O: Wir könnten ja auch noch auf andere Weise Verwirrung darüber stiften. Du weißt ja, dass ein guter Teufel ....


U: Jaja, ich weiss dass der Teufel ein „Diabolus“, ein „Verwirrer“ sein soll. Das hast Du mir lange genug eingebläut.

O: Und wie hast Du es hier noch umgesetzt?


U: Vor allem durch die Vielfalt der Symptome und den wechselhaften Verlauf. Meine Krankheit kann sich völlig verschieden auswirken: Einige werden schwer krank, andere nur leicht; viele nur für eine Weile, andere für immer; manche werden gelähmt, andere herzkrank, viele andere verrückt, die meisten von Schmerzen, Missempfindungen, Kopfgeräuschen und Schwächeattacken terrorisiert; einzelne verlieren die Sehkraft bis zur Erblindung oder erleiden Entzündungen und Organschäden an Leber, Nieren und Bauchspeicheldrüse. Wenn nicht durch die Krankheit selbst, dann durch die Nebenwirkungen chemischer Therapien. Aber insgesamt werden nur wenige – etwa durch Gesichtsnervlähmungen – optisch entstellt, was natürlich die Diagnose erschwert und verzögert. Den meisten sieht man gar nichts an.

O: Wenn sie aber trotzdem schwer leiden und klagen ...


U: ... dann wird man Sie als Wehleidige und Hypochonder verspotten und als Simulanten beschimpfen! Diese „vermessene“ etablierte Medizin lässt doch nichts gelten, was sie nicht messen kann. Mit seinem „Selig, die nicht sehen und doch glauben....“ hat dieser verrückte „Heiland“ bei den professionellen Heilern keine Chance! Die halten immer das, was sie derzeit erkennen und wissen, für die ganze und unumstößliche Wahrheit. Die pflegen ihre Dogmen doch verbissener als die Theologen. Aber meine neue Krankheit wird ein Fiasko für sie werden.

O: Naja – sie werden zumindest ein Fiasko für die Kranken daraus werden lassen, weil sie lieber alles abstreiten und verharmlosen als ihre Ohnmacht und Ratlosigkeit einzugestehen.


U: Aber nicht nur die Ärzte werden versagen, auch Verwandte, Freunde, Kollegen, Nachbarn. Gesunde Menschen können sich eh schwer in das Leid Kranker hinein versetzen. Und hier soll die soziale Dimension der Krankheit alles noch viel schlimmer machen als bei den anderen, etablierten schweren Leiden: Hier wird es für Leid kein Mitleid geben, sondern Unverständnis, mit all seinen familiären, beruflichen, finanziellen Folgen. Die Kranken werden in einen zusätzlich kräftezehrenden Kampf hineingetrieben.

O: Und das wiederum macht sie psychisch krank – also genau so, wie man es Ihnen ohnehin leicht unterstellt.


U: Genau! Allerdings nicht nur das: Die Krankheit soll bei vielen direkt auf’s Gehirn schlagen und dadurch auch ohne seelische Auslöser psychotisch, depressiv, aggressiv machen – zumindest irritierend wesensverändernd wirken. Solche psychische Entstellung kann sich viel fataler auswirken als die physische. Sie wird die Betroffenen, die durch das schubartige Auf und Ab der Symptome eh schon zermürbt sind, in Mißverständnisse und Konflikte verstricken und einsam machen, wo sich doch dringend Geborgenheit und Hilfe brauchen.

O: Aber was, wenn die Medizin Deiner Krankheit doch schneller als erwartet auf die Schliche kommt?


U: Keine Sorge! Diese Trottel von Medizinern werden ihre Routineblutwerte erheben und darin in den meisten Fällen nichts Auffälliges finden. Dann werden sie die Patienten durchspiegeln und durchröntgen und natürlich nichts sehen, weil das Drama sich in Mikrostrukturen abspielt, in den Zellen, im Stoffwechsel, in den Lymphen – lauter blinde Flecken der heute gängigen Medizin. Vor lauter Messbarkeitswahn und Schematismus haben die die Wahrnehmung des Kranken für den eigenen Körper total verdrängt. Man wird die Betroffenen je nach dem äußeren Erscheinungsbild in die Rheuma-, Arthrose- oder Psychoecke stellen. Viele werden wahrscheinlich unter „MS“ eingeordnet und falsch mit Kortison behandelt – das schwächt ihre Abwehrkräfte noch mehr. Bevor vielleicht irgendwer merkt, was da wirklich los ist, sind große Teile des Körpers versaut. Und wo der keine Ausfallerscheinungen zeigt, wird man die Kranken in psychosomatische Therapien – der neueste Schrei der Medizin reicher Länder – überweisen und in Irrenhäuser stecken, wo sie erst recht nie geheilt werden. Ich verspreche Dir: Das wird ein Desaster für alle werden: für die Betroffenen, für die Medizin, für das Gesundheitswesen.

O: Moment – da es sich um eine Infektion handelt, wird man doch bald Abwehrreaktionen im Blut finden und die Krankheit bestimmbar machen. Und dann mit Antibiotika behandeln.


U: Ich habe an alles gedacht. Gegen Antibiotika sind diese Erreger – jedenfalls einige Varianten – ziemlich resistent. Außerdem wird der Erreger so beschaffen sein, dass er nicht bei allen Organismen die gleiche Reaktion auslöst und sogar häufig vom Immunsystem gar nicht erkannt wird. So wird es Infizierte ohne Antikörper in Blut und Nervenwasser geben – also „negativ“ Getestete, die erkrankt sind; umgekehrt kann es auch „Positive“ geben, die die Krankheit überwanden und trotzdem, wie bei einer Impfung, weiterhin Antikörper haben. Und solche „Serumnarben“ wird man dann auch bei den tatsächlich Kranken unterstellen, so dass die gar keinen Beweis für ihre Krankheit haben.

O: Wird man denn die Erreger nicht direkt nachweisen können? Die Menschen haben doch ein Verfahren dafür entwickelt, nennen sie „PCR“ oder so ....


U: Aber das misst nur die Spuren des Erregers in Blut oder Nervenwasser, und dies nicht mal zuverlässig. Die Sensitivität im Nervenwasser beträgt höchstens 10 bis 30 Prozent. Aus Gewebeproben oder Gelenkflüssigkeit kann man zwar Anzüchtungen versuchen, aber das ist fast genauso schwierig, aufwändig, unangenehm oder bei lebenden Menschen praktisch unmöglich zu realisieren. Wer würde sich schon eine Hirn-Biopsie entnehmen lassen?

O: Hahaha! Na Dir hat man offensichtlich alles im Hirn belassen. Wer sich noch so heimtückisch Perfides ausdenken kann...


U: Warte, es kommt noch besser. Die Erreger sind nicht nur in ziemlich geringer Dichte und so ungleichmäßig im Körper verteilt, dass es Zufall ist, wirklich befallenes Gewebe zu treffen. Wenn man das Glück hat, dauert es selbst mit den besten Mikroskopen meist sehr lange, bis sich die Parasiten finden lassen. Und sie können sich – besonders bei Antibiotika-Einwirkung – sogar von der typischen Spiralform in zystische Formen verwandeln, die praktisch unsichtbar und durch Medikamente kaum angreifbar sind.

O: Klingt perfekt. Na dann bring mal deine Krankheit auf die Erde und berichte mir.


 (Stunden später...)

U: Chef, gib’s zu, Du hast es gewusst: Es gibt meine Krankheit schon auf der Erde!

O: (grinsend): Bin ich allwissend? Ich bin doch nicht Gott! Wie verbreitet ist die Krankheit denn schon?


U: Es gibt bereits allein in Europa, wo ich war, Hunderttausende Betroffene, die meisten wie geplant unter falscher Diagnose, zum Beispiel MS und Alzheimer. Insassen psychiatrischer Kliniken sind mehr als doppelt so häufig infiziert wie der Bevölkerungsdurchschnitt, in Tschechien nach einer glücklicherweise ziemlich unbeachteten und folgenlosen Studie zum Beispiel 30 Prozent. Aber die vermeintlich seelisch Kranken werden natürlich mit Psychopharmaka behandelt, die die Ursache nicht bekämpfen. Erste Medienberichte über Sterbefälle verhallen ohne Reaktion, von Medizin und Politik ignoriert. Suizide werden psychisch erklärt. Einzelne Ärzte, die vor der „Seuche des 21. Jahrhunderts“ warnen und auf „Tortur“ und „Martyrium“ der Kranken hinweisen, werden zu Scharlatanen erklärt und von der Versicherungsbürokratie drangsaliert. Die Übertragung erfolgt übrigens meistens durch Zecken. Die meisten Menschen glauben aufgrund einer falschen Informationspolitik, man sei nur in bestimmten Gebieten gefährdet und könne sich impfen lassen. Das gilt aber nur für eine andere Zeckenkrankheit, die viel, viel seltener ist. Die Verwirrung hat also prima funktioniert.

O: Das war ja auch mein Meisterstück!


U: Dass Du mich so reinlegen würdest ....

O: Wieso reinlegen? Ich wollte nur sehen, ob du meiner Bosheit ebenbürtig bist. Schon vor Jahrzehnten habe ich den Erreger, der ja dem Syphiliserreger ähnlich ist, auf die Erde gebracht, als die Syphilis ihren Schrecken verloren hatte. Erst 1982 entdeckte ein gewisser Willy Burgdorfer die schraubenförmige Bakterie. Deshalb nannten die Mediziner sie „Borrelia Burgdorferi“...


U: ... und die Krankheit „Borreliose“. Viele Ärzte können aber nicht mal den Namen korrekt aussprechen oder schreiben. Stell Dir vor: Gegen die im therapierbaren Frühstadium häufig –zur Verwirrung aber nicht immer – auftretenden Hautrötungen verschreiben sie Salben! Lächerlich. Und die antibiotischen Therapieempfehlungen der Informierteren differieren von 10 Tagen bis 18 Monaten. Es herrscht diagnostisch und therapeutisch völliges Chaos. Die Krankenkassen und Rentenversicherungen nutzen das aus und verweigern vielen Betroffenen Behandlungskosten, Krankengeld und Rente.

O: Die Medizin und ihre Bürokraten sind eben noch genau so verwirrt, wie wir es diabolisch inszeniert haben. Jedenfalls bist Du einer Oberteufels-Ehre würdig! Glückwunsch zur bestandenen Prüfung!


U: Na in Dir habe ich wieder mal meinen Meister gefunden. Komisch nur, dass die Menschen trotz all des Leids immer weniger an den Teufel glauben. Stattdessen machen viele Verzweifelte Gott verantwortlich.

O: Genau das ist ja unser Ziel.


U: Allerdings bleibt unterschwellig, zumindest sprachlich, eine gewisse Intuition für unser Wirken erhalten: Im Brief an einen Borreliose-kranken Freund schrieb ein deutscher Politiker, es handele sich nach der Einschätzung seines Arztes um eine „teuflische Krankheit“.


O: Ein nettes Kompliment! Aber bis das alle begriffen haben, haben wir noch viel Zeit, neue Pläne für ein Stück Hölle auf Erden zu schmieden.



Dr. phil. Andreas Püttmann, Jg. 1964, ist Politikwissenschaftler, Journalist, Referent der Konrad-Adenauer-Stiftung - und nach einer erst im Spätstadium diagnostizierten Borreliose seit März 2002 schwerbehindert.

Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Andreas Püttmann